Bericht aus dem OÖ-Nachrichtenmagazin v. 15.02.2003, Seite 5
Von Christine Radmayr
Keine Spur von verstaubt
Vom Installateur zum ersten allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen für Archivwesen. Eine Karriere, die nicht alltäglich ist, ein Beruf, der nach öder "Routinehackn" zwischen Aktenbergen klingt. Umso erstaunter ist man, wenn Mag. Dr. Wieland Mittmannsgruber erzählt, wie er das geworden ist, was er heute ist.
Das Bewahren und Erhalten liegt mir im Blut, was nicht heißt, dass ich ein langweiliger, verstaubter Zeitgenosse bin", lächelt der Leiter des Verwaltungsarchivs der Stadt Linz.
Wieland hat schon als Kind gesammelt, was ihm wertvoll erschien, Bierdeckel, Marken und Münzen. In Hirschbach bei Freistadt, dem Heiligenblut des Mühlviertels, lebte Mittmannsgruber mit Mutter, Adoptivvater und drei Geschwistern in einfachen Verhältnissen. Der Vater, ein Tischler, suchte eine Installateurslehre für den Buben in Linz. "Im Ort gab es keinen Installateur, ich wusste nicht, was der tut. Ich wollte Feinmechaniker werden, nur gefragt hat mich damals keiner. Mein erster Lehrlingsauftrag war Klomuscheln auszutragen", erinnert sich der gelernte Installateur.
Die Freizeit des Installateurs gehörte der Musik. Violine und Zugposaune hat Wieland gelernt. Der Posaunist spielte 13 Jahre bei den "Linzer Buam" auf. "Dort hab' ich meinen Urlaub verbracht und das Geld für mein erstes Auto und meinen ersten Anzug verdient."
Wieland wollte sich weiterbilden. "So wurde ich Technischer Zeichner und absolvierte die Maturaschule, was mir den Weg zum Dokumentar im Archiv der Stadt Linz ebnete", erzählt der Lernfreudige.
400 Laufmeter Akten
In Wort, Bild und Ton dokumentierte der Hobbyfotograf das Stadtgeschehen. 1988 wurde Mittmannsgruber zum Leiter der Abteilung Verwaltungsarchiv. Er führt sechs Angestellte und archiviert 300-400 Laufmeter Akten, die jährlich aus den Magistratsämtern kommen. Die Aktenberge werden weniger, vieles wird heute elektronisch gespeichert. Ab 2004 soll es den elektronischen Akt beim Magistrat geben.
Klingt nach verstaubter Routine, doch davon kann keine Rede sein, wenn man an die menschlichen Schicksale denkt, die Mittmannsgruber erlebt. "Ehemalige Zwangsarbeiter der NS-Zeit suchen um Bestätigung für ihre Arbeit an, um eine Entschädigung zu bekommen. Ich durchforste zu diesem Zweck die Listen der Wohnlager oder die Eintragungen der Gebietskrankenkasse, wo diese Leute gemeldet waren", erzählt der gelassene 56-Jährige.
Viele Menschen fragen nach Freunden, Verwandten oder ehemaligen Kriegskameraden. "Ja sogar die Bitte, eine Krankenschwester aus einem Kriegslazarett aufzustöbern, wurde an mich herangetragen. Ich habe aber kaum eine Chance, eine gewisse Schwester Anni von damals zu finden." Notare begeben sich mit Mittmannsgruber auf Erbensuche. "So konnte ich zwei Leondingern unverhofft zu 4 Millionen Schilling Erbe verhelfen."
Immer beliebter werde die Stammbaumforschung. Er selbst kann ein Lied davon singen. "Ich kannte meinen leiblichen Vater nicht, wusste nur, dass er 1946 in Cuxhaven lebte. So stellte ich ans dortige Stadtarchiv via Mail eine Anfrage. Fünf Tage später wusste ich, dass der Vater 1948 bei der Fremdenlegion in Nord-Vietnam gefallen ist. Jetzt war mir klar, warum er sich bei mir nie gemeldet hat."
Alleinerzieher, Hausmann
Vor acht Jahren geschieden, bekam Mittmannsgruber Schritt für Schritt das Sorgerecht für alle vier ehelichen Kinder. "Schon die Jahre vor der Scheidung erlebte ich einen schrecklichen Rosenkrieg. Da begann ich Jus zu studieren, um mich abzulenken." Der Hintergedanke war, Sachverständiger für den Naturschutz zu werden, für den sich Mittmannsgruber seit den 80er-Jahren intensiv einsetzte. "Ich bin in der Hainburger Au gesessen und kämpfte um die Erhaltung des Rodltales." Wenn der Archivar von Akten und Ämtern genug hat, sieht er in den Naturschutzgebieten nach dem Rechten.
Apropos nach dem Rechten sehen: 2001 zum Dr. jur. promoviert, ist Mittmannsgruber heute für rechtliche Belange, ob Aufbewahrungsfristen oder Datenschutz im Archiv zuständig. Im Herbst 2002 wurde er zum ersten Sachverständigen für Archivwesen in Österreich ernannt.
"Ich freu' mich auf Aufträge in Sachen Transkription alter Handschriften und auf Erb- und Familienforschung", sagt der Mann, der sein Leben lang gerne lernte, und fügt hinzu: "Keine Schule mehr, ich will nun die Zeit mit den zwei Kindern, die noch bei mir daheim leben, genießen."